Flaschengeister

Flaschengeister

 
Menetekel (orange)
Menetekel (orange)
100 x 80 cm
2007, Bild Nr. 3430
Öl auf leinwand
Familie (grün)
Familie (grün)
140 x 100 cm
2008, Bild Nr. 3460
Öl auf leinwand
Die verknotete Sehnsucht
Die verknotete Sehnsucht (rot)
100 x 80 cm
2007, Bild Nr. 3420
Öl auf leinwand

Öl-Bilder Serie „Flaschengeister“

In der orientalischen Märchenwelt ist ein Flaschengeist – oder Dschinn – ein Geist, der zur Strafe in einer verschlossenen Flasche eingesperrt wird. Der mythische Flaschengeist ist dazu verpflichtet seinem „Meister“ Wünsche zu erfüllen – meist widerwillig und nur mit dem Hintergedanken verbunden durch eine List die eigene Befreiung zu erwirken.
Die Bilder dieser Serie greifen die Idee des Flaschengeistes auf und übertragen sie in ex-pressiv-realistischer Malweise auf die mehr oder weniger freiwillig gelebte Isolation des modernen Menschen, der sich zwar bedingt durch die moderne Informations- und Kom-munikationsgesellschaft, mit der gesamten Welt in Bruchteilen von Sekunden in Verbin-dung setzen kann, dem es aber an realen Kontakten und damit an echten zwischen-menschlichen Beziehungen mangelt.

Der moderne Mensch gestaltet seine eigene virtuelle Welt und kreiert für sich selbst eine eigene Rolle mit den zu ihm passenden Funktionen. Er wirkt nach außen hin weltoffen, aktiv und selbstbestimmt, freundlich und zugänglich, aber in Wahrheit lebt er in einer geschlossenen, ganz eng an sich allein angepassten Welt. Jeder Flaschengeist spielt in dieser Welt seine Rolle und erlebt den Anderen durch dessen Rollenspiel. Er lebt sehend und sichtbar und dennoch isoliert, abgekapselt, eben wie ein Flaschengeist, der aus einer anderen Welt kommend und ausgestattet mit besonderen Fähigkeiten, große Dienste er-weisen kann – seiner engen Welt und der damit verbundenen Rolle jedoch nicht zu ent-rinnen vermag. Die Flasche ist zugleich magisches Artefakt als auch Gefängnis.

Ebenso wie der Dschinn sind die modernen Flaschengeister darauf aus, wahrgenommen zu werden und dadurch Befreiung zu erlangen. Allerdings wählen sie irrtümlich das Mittel der Täuschung, um auf sich aufmerksam zu machen. Diese Täuschung muss nicht not-wendigerweise böswilliger Natur sein, sondern kann einfach eine schützende äußere Fas-sade, schöner Schein, sein. Der Irrtum besteht allerdings darin, dass es keine Freiheit geben kann: der mythische Flaschengeist kann nicht aus seiner Flasche befreit werden, weil er als Geist gar nicht ohne seine magische Flasche existieren kann. Um sich dauer-haft aus diesem Gefängnis zu befreien müsste der Geist die Flasche zerstören. Damit würde er sich aber gleichzeitig der magischen Fähigkeiten berauben.

Der moderne Flaschengeist wiederum verhindert gerade durch seine Fassade die eigene Befreiung: der schöne Schein der Täuschung, der Aufmerksamkeit auf ihn ziehen soll, ist gleichbedeutend mit dem Glas der Flasche. Würde er der Flasche entrinnen oder sie gar zerbrechen, wäre auch die Fassade dahin und er wäre noch nackter und verletzlicher.

Hinter der schützenden Glasscheibe agiert der moderne Mensch und die ihm Nähe sugge-rierenden Medien verstärken seine Abgeschiedenheit. Der Flaschengeist erlebt diese Si-tuation nicht notwendigerweise als negativ. Es hängt alles davon ab, wie er seine Rolle definiert: beengend und begrenzend oder in der extremen Fokussierung auf die eigene Person bereichernd und erfüllend. Elementar ist die Transparenz der Flasche, denn der Mensch in ihr ist nackt und in seiner Nacktheit ist er gut sichtbar entblößt. Es gibt keine Rückzugsmöglichkeit, kein Verstecken. Er ist permanent den Blicken ausgesetzt, ständig erreichbar. Der Schutz der Flasche ist eine Illusion.

Wie ein Goldfisch in einem runden Glasaquarium kann sich der moderne Flaschengeist der Illusion unendlicher Freiheit hingeben. Mit entsprechendem Selbstbewusstsein kann er diese exponierte und doch beschränkte Situation für sich als zufrieden stellend inter-pretieren. Die schemenhafte Reflektion im Glas gewährt jedoch nur eine vage Wahrneh-mung der eigenen Person. Eine wirkliche Eigenwahrnehmung kann es nicht geben, da in den beengten Verhältnissen des Flaschengefängnisses keine wirkliche Reflektion möglich ist.

Für Außenstehende erscheint der moderne Flaschengeist wie in einem Vakuum zu existie-ren, das nur durch ihn selbst ausgefüllt werden kann und sich nur durch seine selbst auf-erlegte Rolle legitimiert. Solange der Flaschengeist auf seine Glasfassade baut und den zwischenmenschlichen Kontakt auf medial gefilterte und gesteuerte Kommunikation be-schränkt, wird er seine selbst gewählte Isolation nicht verlassen können. Überwindet er die Angst vor dem Verlust der „magischen Fähigkeiten“ der modernen Mediengesellschaft und entscheidet sich dafür seine Glasfassade zu zerstören, findet er sich zwar nackt und entblößt der Welt ausgeliefert, hat jedoch unzählige Chancen sein Leben von Grund auf neu und mit echten zwischenmenschlichen Beziehungen zu gestalten.

So viele Möglichkeiten zum Neuanfang dieser gewaltsame „Geburtsmoment“ auch bietet – dieser Neuanfang kann nur durch einen destruktiven Akt erreicht werden, den nur wenige Menschen in unserer heutigen Welt wagen.

Die Flaschengeister symbolisieren in Haltung und Gestik die unterschiedlichen Rollen der Einzelnen, die sich gegenseitig zu einem Panoptikum menschlicher Existenzen ergänzen, dessen Facetten diese Serie uns vor Augen führen möchte.

Irina Gerschmann